Schritt vergessen? Tangonotation!

Schwitzen, Fluchen, Stolpern – Rettungsmaßnahmen für TangotänzerInnen

Ein paar Anmerkungen zur Tangostruktur und Tangonotation
von Rainer Klement und Maike Christen, Hamburg


Links oder rechts? Vor oder zurück? Da geraten Tänzer schon mal ins Schwitzen, beim verzweifelten Versuch, die mühselig erlernte Tangofigur des letzten Workshops zu wiederholen. Fast zwangsläufig stellt sich die Frage, ob man sich diesem Stress überhaupt aussetzten sollte.

„Unnötig“, sagen die einen. Man solle nicht zu viel denken. Schließlich lebe der Tango von den Gefühlen der Tanzenden, von der Improvisation, nicht von den unzähligen Sequenzen angelernter Figuren.

„Sinnvoll“, finden die anderen. Zum Tango gehöre zwingend auch das überlegte Setzen der Füße. Und wiederhole man die damit einhergehenden Bewegungen, dann lerne man auch harmonischer zu tanzen. Im Übrigen verschlinge die Teilnahme an Workshops viel Geld; es sei doch schade, wenn nichts von all den Drehungen und Richtungswechseln, Sacadas und Colgadas hängen bliebe.

Welchen Standpunkt man auch vertritt, eines steht fest die Tango-Lehrinhalte haben sich in den letzten Jahren verändert. Es geht im Unterricht nicht mehr darum, ellenlange Figurensequenzen gedankenlos zu imitieren, sondern darum, sich mit speziellen Themen auseinanderzusetzen, die Strukturen zu erkennen und darauf aufbauend, Eigenes zu entwickeln.

So dachten auch schon die argentinischen Profitänzer und Tangolehrer Fabián Salas, Gustavo Naveira und Chicho Frúmboli in den 90er Jahren. Inzwischen haben sich die von ihnen entdeckten Basiselemente der Tangostruktur im Unterricht großteils durchgesetzt und werden heute weltweit verwendet.

Die Strukturpioniere Naveira-Salas-Frúmboli erkannten, dass alle Tänzer (Führende wie auch Geführte) nur drei Schritte in verschiedenen Kombinationen zueinander setzen: den ‚offenen’ Seitschritt (Open Step), das Vorkreuz (Frontcross) und das Rückkreuz (Backcross). Da diese drei Schrittpositionen mit links und mit rechts gemacht werden können, haben beide Partner je sechs verschiedene Möglichkeiten sich zueinander zu positionieren; insgesamt ergeben sich daraus die -häufig zitierten- 36 unterschiedlichen Schritt-Kombinationen.

Überlegungen zur Drehrichtung, dem Beat und dem Schrittsystem, indem sich die Tanzenden bewegen, ergänzten ihre Entdeckungen zu den einzelnen Schrittpositionen. Mit Hilfe dieser vier grundlegenden Pfeiler gelang es den drei Ausnahmetänzern ein verständliches Konzept vorzulegen, das es ermöglicht, auch komplexe Figuren einfach und nachvollziehbar zu analysieren.

Wer sich mit ihr beschäftigt, ist in der Lage, Tanzpositionen zu erkennen und zu wiederholen. Beiläufig eröffnen sich demjenigen, der die Schritte der Struktur folgend ausprobiert, ungeahnte Möglichkeiten, die ohne analytisches Vorgehen im Verborgenen blieben und nur durch Zufall entdeckt würden. Durch das Begreifen des Schrittematerials ist es den Tanzenden möglich, schneller improvisieren zu lernen und den Tanz mit eigenen Ideen zu bereichern, eben weil sie wissen, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen. Und: Die Struktur schafft eine gemeinsame Sprache mit Hilfe derer sich Tänzer auf der ganzen Welt problemlos verständigen können.

Frontcross Rechts (FR) oder Frontcross Links (FL)? OpenStep Rechts zur Seite (OR), nach vorn (ORf) oder zurück (ORb)?

Wer die Figur des letzten Workshops wiederholen möchte, schwitzt trotz Struktur immer noch.

Es hilft auch kein analytisches Vorgehen, wenn einen das Erinnerungsvermögen verständlicherweise im Stich lässt. Was tun? Eine Möglichkeit: Bewegungen oder Positionen aufschreiben, um dem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Es gibt dazu zahlreiche Versuche. Im Ballett ist u.a. die Benesh-Movement-Notation ein Begriff. Ein allgemein erprobtes und für gut befundenes Verfahren zum Aufschreiben von Tangotanzfiguren gibt es trotz interessanter Ansätze leider noch nicht (vgl. dazu unter anderen Manuel Bodirsky: "Ein Notensystem für Tango Argentino" in der Tango Danza 3/2004 oder Lothar Staudacher im Boletín del Tango Nr. 37 und 38 /2005). Tangotänzer behelfen sich in der Regel mit Notizen oder Tonaufnahmen, die meist nur sie verstehen oder - schon effektiver - mit Videoaufnahmen. Die schriftlichen Aufzeichnungen sind meistens zu komplex, zu unübersichtlich oder eben nur auf persönliche Bedürfnisse zugeschnitten und daher nicht geeignet, sie von anderen Tänzern zu übernehmen.

Die Basiselemente der Tangostruktur könnten Grundlage für ein allgemein verständliches Notationssystem sein.

Diese Elemente ermöglichen ein einfaches Aufschreiben kompliziert erscheinender Bewegungen. Auch wenn die Notation nicht alles erfassen kann und im Wesentlichen auf Schrittpositionen reduziert ist, so ist sie doch gut dafür geeignet, sich auch später noch an Gelerntes zu erinnern, etwa an ausgesuchte Schlüsselpositionen.

Die Tangonotation ist nur ein Hilfsmittel, und auch die Struktur löst nicht alle Probleme der Tangowelt. Beides kann und will den Tango nicht in seiner ganzen Komplexität beschreiben. Wesentliche Grundlagen des Tangotanzens können durch sie nur bedingt oder gar nicht erfasst werden, wie etwa Emotionen, Erdigkeit, Eleganz, Fußspielereien, Verzierungen, Musikalität usw.

Trotz dieser Einschränkungen: Mit Hilfe der Struktur und einer auf ihr basierenden Notation kann der vergangene Workshop getrost ins Archiv wandern. Und die Schweißperlen sind um ein Vielfaches kleiner, wenn irgendwann einmal das entsprechende Kärtchen zur Hand genommen wird, um die damals erlernte Tangofigur zügig und erfolgreich wieder ins Gedächtnis zu rufen - und das ohne allzuviel Fluchen und Stolpern.

Anmerkung: Text und Bilder:© Rainer Klement, Maike Christen I Tango up de deel I www.tangoexperten.de. Für Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung. Erreichbar sind wir über tangodeel@gmx.de.