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Der Tänzer als Dirigent von Rainer Klement, Hamburg „El bailarín es el director de la orquesta“, behaupten die alten Milongueros, „der Tänzer ist der Dirigent“. Anders gesagt: Der Tänzer zeigt uns die Musik. Er interpretiert sie mit seinem Körper, hebt das eine oder andere Instrument hervor, verzögert hier, beschleunigt dort und macht so auf ganz eigene Weise die Töne eines Tangos sichtbar. Tanzen - und damit auch das Tango tanzen - ist mehr als die Konzentration auf Grundschläge und die Kunst, sie ein ganzes Musikstück durchzuhalten. Beim Tango tanzen kommt es – neben dem Ausdruck von Gefühlen, Stimmungen und der Sensibilität für den Partner – auch auf die musikalischen Spielereien zwischen den Grundschlägen an. Es geht darum, unterschiedliche Betonungen umzusetzen und die Spannungsbögen der Melodien, den Aufbau sowie die Struktur eines Stückes in den Tanz einzubeziehen. Tanzen ohne Punkt und Komma „Wer beim Tanzen die Phrasierungen der Musik nicht berücksichtigt, tanzt als würde er einen Text ohne Punkt und Komma lesen“, sagen Musiker. Tatsächlich kann man auf den Milongas beobachten, dass die meisten Tanzpaare sich am Hauptschlag orientieren. Vielleicht lassen sie den einen oder anderen mal aus, oder sie ‚verdoppeln’ das Tempo - wenn sie fortgeschrittener sind – und tanzen die Halbzeit zwischen zwei Hauptschlägen. Kaum ein Tanzpaar aber nutzt die vielfältigen Möglichkeiten, die die Musik bietet. Warum ist das so? In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden fast ausnahmslos Figuren und Schrittsequenzen unterrichtet. Die Musik wurde dabei viel zu wenig berücksichtigt. „Ein Fehler“, sagen professionelle Tangotanzlehrer heute und geben zu, dass es gar nicht so einfach ist, diese Unterlassungssünde auszugleichen. Die Schüler wiederum merken, dass sie tänzerisch nicht weiterkommen, und dass das Lernen noch einer neuen Figur, noch einer Sequenz nicht viel weiter hilft. Warum das aber so ist, wissen sie häufig nicht. Die Verwirrung der Tangolehrer Seit einigen Jahren versuchen deshalb einige Lehrer den Tänzerinnen und Tänzern den musikalischen Hintergrund näherzubringen. Viele Tangoschulen haben den Zug der Zeit erkannt und bieten zunehmend Kurse zu Themen wie „Musikalität“ oder „Rhythmik“ an. Häufig verspricht die Werbung allerdings mehr als die Tangolehrer dann vermitteln können. Die meisten von ihnen beschäftigen sich bis heute mit dem Hauptschlag und der Halbzeit. Für ein abwechslungsreiches, ausdrucksvolles Tanzen ist das aber zu wenig. „‘Wir bemühen uns, den Schülern ein Musikverständnis mit auf den Weg zu geben, aber sie setzen es in der Tanzpraxis nicht um“, beklagen sich die Lehrer. „Unsere Lehrer kennen die musikalischen Zusammenhänge nicht genügend und tanzen selbst nicht so richtig musikalisch“, finden die Schüler. Fachkundige Lehrer geben je nach persönlichen Erfahrungen ihr Bestes – verwirren die Schüler allerdings manchmal mehr als zur Klärung beizutragen. „Ich habe einige Zeit gebraucht“, berichtet ein Schüler, „bis ich erkannt habe, dass die verschiedenen Lehrer das Gleiche meinen, wenn sie ‚Eins, zwei, drei, vier’ zählen oder ‚eins und zwei und’ auf den Tisch klopfen.“ Ist ein Dritter davon überzeugt, es reiche ein „slow“ und ein „quick“ aus, ist das Durcheinander perfekt. Wenn dann noch Synkopen hinzukommen, weiß keiner mehr, welche „eins“ oder welches „quick“ gemeint ist. Fundierte Unterrichtskonzepte gibt es kaum, von schulübergreifenden, abgestimmten Lehrinhalten ganz zu schweigen. Wenn es darum geht, musikalische Besonderheiten oder gar Gesamtzusammenhänge zwischen Musik und Tanz zu erarbeiten, bleibt der Tangounterricht bis heute an der Oberfläche. Nur ausgesprochen wenige Lehrer verfügen über das erforderliche Wissen und die entsprechenden pädagogischen Fähigkeiten. Zwei Profis geben Antwort Zwei interessante Ansätze, den Tangotänzer ohne Musikausbildung zu unterrichten, bieten Gustavo Naveira und Joaquin Amenábar an: Gustavo Naveira, argentinischer Profitänzer mit Musikausbildung und seine Partnerin Giselle Anne nähern sich dem Thema aus Sicht der Tänzer. In ihrem Unterricht geht es nicht nur um bestimmte Rhythmen, sondern auch um den Ausdruck des Tanzpaares im musikalischen Kontext. Sie schlüsseln Tangos, Milongas und Valses auf nach den starken Hauptschlägen, den Halbzeiten und den Zeiten zwischen diesen beiden und vermitteln ihren Schülern das Wissen um den Aufbau und die Spannungsbögen eines Stückes. Sie schulen deren Gehör, indem sie etwa verlangen, immer zum fünften Schlag einer ‚Phrase’, eines Abschnittes, mit einer Schrittsequenz zu beginnen oder musikalische Wiederholungen und Abwandlungen tänzerisch darzustellen. Und sie lassen andere Tanzpaare beobachten und deren Umsetzung eines Tangos nach verschiedenen Kriterien beurteilen: die Verbindung des Paares, ihren Rhythmus, ihren Tanzfluss und die Geschichte, die das Tanzpaar zur musikalischen Vorlage erzählt. Joaquín Amenábar, argentinischer Bandoneonspieler, beschäftigt sich mit den Tanzpaaren aus einem anderen Blickwinkel: dem des Musikers. Er veröffentlichte Anfang 2009 das Buch „Tango – Zur Musik tanzen“; ein Werk für Tänzer ohne musikalische Ausbildung. Als Berufsmusiker, der auch über ein wenig Tanzkenntnisse verfügt, erläutert er rhythmische Grundlagen und stellt den strukturellen Aufbau von Tangoliedern dar. Seine Übungen sind gut geeignet, Tangotänzern einen Einstieg in die musikalische Welt zu ermöglichen. Die beigefügte DVD mit Tanz- und Hörbeispielen ist eine gelungene Ergänzung zu den theoretischen Informationen. Auch Amenábar versucht, seinen Schülern die enge Verbindung von Tanz und Musik nahezubringen. „Zahlreiche Tangotänzer investieren viel Zeit und Geld in das Erlernen von Tanzbewegungen“, sagt er, „die musikalische Ausbildung dagegen wird vernachlässigt.“ Tänzer müssen keine Musiker sein „Wir tanzen die Musik“, lehrt der Musikprofi Amenábar und verlangt ein exaktes Umsetzen von Rhythmen und Melodien. „Wir tanzen zur Musik“, unterrichtet der Tanzprofi Naveira und stellt dagegen die tänzerische Freiheit in den Vordergrund. „Die Tänzer sind die 'Chefs im Ring'“, erklärt er, „denn sie bestimmen wie die Musik getanzt wird.“ In einem aber sind sich beide Lehrer einig: Tangotänzer benötigen keine umfassende musikalische Ausbildung. Neben dem Erlernen einfacher Grundelemente und der sinnlichen Wahrnehmung der Musik geht es darum, sie tänzerisch umzusetzen. Dafür müssen Gehör und Körper geschult werden. Das benötigt Zeit, ist aber für jedermann erlernbar. Unabdingbare Voraussetzung: Die Tangotanzlehrer selbst müssen musikalisch kompetent und in der Lage sein, im Unterricht Musik und Tanz eng miteinander zu verbinden. Schrittsequenzen, Figuren, Verzierungen etc. müssen von Beginn an immer auch im musikalischen Kontext, über rhythmische Grundelemente hinaus, vermittelt werden. Vom Hören zum Tanzen Doch um zur Musik zu tanzen, bedarf es keiner komplexen Figuren. Deshalb sind als erstes die Tänzerinnen und Tänzer gefragt: Denn zur Musik tanzen, können nur diejenigen, die sie auch hören - und zwar nicht nur als Hintergrundgeräusch. Wer die Musik hört, ist in der Lage, Wiederholungen zu erfassen und Akzente zu setzen, bevor sie ungetanzt verklungen sind. Am besten, man kennt die Tangos, zu denen man tanzt. Schließlich dirigieren Orchesterleiter ja auch nur Stücke, mit denen sie sich beschäftigt haben. Anmerkung: Rainer Klement beschäftigt sich seit 1992 intensiv mit dem Tango. Er ist ein gefragter Tänzer, Lehrer und DJ. Für Rückfragen steht er gern zur Verfügung. Erreichbar ist er per E-mail unter rakletango@gmx.de Text und Bild:© Rainer Klement, www.tangotanzen.com |
Der Tango-DJ Was er wissen muss, und wo er zu finden ist von Maike Christen, Hamburg Der DJ einer Milonga ist der große Zauberer im Hintergrund. Er ist der Regisseur. An seinen Fäden zappeln die Gefühle der Tänzer. Von ihm hängt ab, welches Stück am Abend gegeben wird. Die Tänzer und Tänzerinnen wiederum bestimmen quasi als Schauspieler die Qualität der Aufführung. Und von den Organisierenden hängt die Ausstattung und somit das Ambiente der Milonga ab. Wichtigster Mann (schrieb ich Mann? Es kann selbstverständlich auch eine Frau sein), wichtigster Mensch also bleibt aber derjenige, der die Musik auflegt. Ohne ihn läuft nichts. 'Geschmacksache' wird im Allgemeinen gesagt, wenn der eine diesen, der andere jenen Tango-DJ bevorzugt. Unter uns: Es geht hier gar nicht um Geschmack. Es geht ums Tango-Gespür. Ums Wissen und ums Können eines DJs. Und von den Guten gibts nicht viele. Was einen guten Tango-DJ ausmacht, darüber sind schon eine Menge Worte geschrieben worden. Unabdingliche Zutaten sind: 1. Argentinische Tangos. 2. Die Tangos eines Orchesters werden zu Blöcken von drei bis vier Stück gebündelt, den sogenannten Tandas. 3. Diese Tandas werden voneinander getrennt durch eine Zwischenmusik, der 'Cortina', oder aber durch eine längere Pause, damit die Tanzpaare wechseln können. 4. Nach zwei bis vier Tango-Tandas folgt eine Tanda mit argentinischen Milongas oder argentinischen Valses. 5. Der Schwerpunkt liegt bei der Musik der 40iger Jahre. 6. Der Schwerpunkt liegt bei instrumentalen Tangos. 7. Bei gesungenen Tangos steht der Sänger oder die Sängerin nicht im Vordergrund. 8. Die Abfolge der Tango-, Vals-, und Milonga-Tandas bauen den Abend spannungsreich auf. 9. Piazzolla ist ein toller Komponist, aber zum Tanzen auf der Piste nicht geeignet. 10. Salsa oder etwa Swing (wozu dann auch Salsa oder auch eben Swing getanzt wird) bringen eine andere, abwechslungsreiche Farbe in den Abend. 11. Der DJ, die DJane ist eine Persönlichkeit. 12. Von den oberen elf Regeln kann es möglicherweise Ausnahmen geben, aber nur SEHR selten. Ach, und übrigens: Gute Musik heißt nicht unbedingt, dass es ein toller Abend wird. Dafür ist der Tango, die Tänzer und selbst ein guter DJ zu unberechenbar. Glücklicherweise. Soweit die ultraorthodoxen Ansichten der Schreiberin. Glücklicherweise hat sich in den vergangenen 12 Jahren nicht nur in Hamburg in Hinsicht auf die musikalische Gestaltung der Milongas viel getan. War es 2002 üblich eine CD einzuwerfen und sie durchlaufen zu lassen – das hieß teilweise zwölf di Sarlis hintereinander weg hören und tanzen müssen – gibt es zehn Jahre später eine veritable Kultur der „Tangoplattenaufleger“: Die traditionelle Tangomusik hat sich durchgesetzt, in fast allen Läden wird die Musik in Tandas und Cortinas serviert und die Musikauswahl wird nicht dem Zufall überlassen, sondern es sitzt ein Mensch dort, der sich den ganzen Abend ausschließlich um die Musik kümmert. Kurioserweise unterscheiden sich einige dieser DJs allerdings nicht wesentlich von einer Tango-CD: Es gibt so manche, die scheinbar ausschließlich Canaro auf ihrem PC gelagert haben neben einigen versprengten Fresedos. Schade. Glücklicherweise gibt es aber auch andere DJs, die ein breiteres Spektrum kennen. Zu verdanken haben wir die positiven Seiten des neuen DJ-Hypes Rainer Klement, der im Jahr 2000 als erster Cortinas einsetzte und das gegen alle Widerstände kontinuierlich durchhielt. Er war übrigens auch der erste, der sich – wie in Buenos Aires üblich – nicht DJ nannte, sondern musicalizador, eine Bezeichnung, die hervorheben soll, dass es bei der musikalischen Gestaltung einer Milonga um weit mehr geht, als verschiedene Musikstücke hintereinander abzuspielen: Es geht darum, dass dort ein großer Zauberer im Hintergrund steht, der die Tänzer auf seine Märchenreise mitnimmt. |