von Anja Hansmann und Sebastian Schnabel, D 2006, 57 min.
Warum Tango? Ja, warum ausgerechnet Tango? Auf dem Gesicht des Bandoneonisten
Omar Masso zeichnet sich völlige Leere ab. Sein ganzer Körper ist Ausdruck dafür, dass er nicht versteht. Warum er Tango spielen würde? Warum Bandoneon? Was ist das für eine Frage? Was gibt es darauf für eine Antwort? Doch Omar Masso fragt nicht, er schaut nur fassungslos. Die anderen Mitglieder der Elektrotango-Truppe ‚Otros Aires’ versuchen zu helfen: Warum spielst Du Tango und warum nicht Rock’n’Roll? fragen sie. Warum Bandoneon und warum nicht… nun, warum nicht Bass? Das Bandoneon sei schön, sagt Omar Masso verständnislos, und der Bass eben nicht. Und er beginnt, das Bandoneon mit ein paar melancholischen Tönen auseinander zu ziehen und faltet dabei die ganze Schönheit dieses merkwürdigen Instrumentes auf. Da hört doch, schaut doch, scheint er zu sagen. Deshalb Bandoneon. Deshalb Tango.
Diese Szene der Sprachlosigkeit ist eine der berückendsten des einstündigen Dokumentarfilmes „Más Tango“ von Anja Hansmann und Sebastian Schnabel. Und obwohl die Frage nach der Faszination, die der Tango ausübt nicht explizit Thema ist, durchzieht sie den ganzen Film.
Anlass für Anja Hansmann sich 2006 in Buenos Aires auf die Suche nach dem Tango zu begeben, war das (und auch ganz persönlich ihr eigenes) neu entbrannte Interesse am Tango und im Zuge damit die Elektro-Tango-Welle. Mit „Más Tango“ wollen die Filmemacher eine „Zustandsbeschreibung des neuen und des alten Tango in Buenos Aires“ vorlegen. Und gehen der Frage nach, wie jene, die den Tango erst in den vergangenen Jahren für sich entdeckt haben sich im Verhältnis zum „alten“ Tango verorten. Wo stehen sie? Wo steht die Tradition? Was unterscheidet sie? Und was ist ihnen gemeinsam?
Protagonisten und scheinbare Gegenpole sind zwei Tanzpaare: Cica Camargo und Santiago Dorkas, die ihren ersten großen Auftritt beim Festival C.I.T.A 2006 in der „Nacht der jungen Tänzer“ vorbereiten. Und Pedro Vujovich und Graciela Cano, die seit 44 Jahren zusammen leben und tanzen und 2005 zum Vizeweltmeister im Salontango gekürt wurden.
Diese beiden so unterschiedlichen Tanzpaare werden an ihnen wichtige Orte begleitet: Die Jungen in den Übungssaal und auf die Bühne, die Alten in ihre Wohnung und auf die Milonga. Wie gebannt verfolgt die Kamera den ausladenden, theatralischen Bewegungen Cicas und Santiagos und zeigt die blitzschnellen Drehungen Pedros und die Fußspielereien Gracielas auf dem Parkett der Confitería Ideal.
Die Gegensätze dieser beiden Paare resultieren übrigens nicht so sehr aus ihrem unterschiedlichen Alter, sondern mehr aus ihrer Vorliebe für den Bühnentango auf der einen Seite und für den Salontango der Milongas auf der anderen Seite: Gäbe es nur die Tangomusik von vor Pugliese, sagt Santiago, dann wüsste er nicht, ob er überhaupt tanzen würde, er suche die bewegtere Musik. Das wichtigste am Tango sei der ‚compás’ sagt Pedro, der Rhythmus des Tango. Während für Cica die Bühne magische Anziehung besitzt, erklärt Graciela die Milonga zur Tango-Zentrale. Möchte Santiago mit allen Möglichkeiten, die ihm sein Körper gibt tanzen, ist für Pedro das Schönste die Umarmung und das Gefühl eines Tango auf der Milonga.
Die Ansichten dieser vier Tänzer zum Leben und zum Tango werden durchwoben von Statements aus der musikalischen Ecke: Die Elektroformationen ‚Otros Aires’, ‚San Telmo Lounge’ und Carlos Libedinsky, Kopf von ‚Narcotango’, kommen zu Wort sowie der Bandoneonist Osvaldo Montes.
Natürlich ist der Film recht plakativ, wenn er den ‚jungen’ Tango dem ‚alten’ Tango gegenüberstellt. Natürlich gibt es ungezählte Beispiele junger Tänzer, die sich mit dem Salon-Tanz beschäftigen, ungezählte junge Musiker, die den Tango ohne Elektro-Loops als zeitgemäßen Ausdruck empfinden und ungezählte Menschen jeden Alters, die diese Schere gar nicht erst aufmachen und nur einen Tango kennen. Trotzdem zeigt der Film einen unterhaltsamen, kurzweiligen Ausschnitt des Tangolebens in Buenos Aires im ersten Jahrzehnt unseres neuen Jahrtausends mit schönen Bildern und schönen O-Tönen.
Und er kommt immer wieder auf die Frage zurück, die wir uns alle stellen: Warum eigentlich Tango?
Ganz einfach: Die Leute wollen sich anfassen, sagt Miguel die Genova, Sänger von ‚Otros Aires’. Nach so langer Zeit ohne wirklichen Kontakt, nach so viel Mail, so viel Chat, so viel Handy wollen die Leute sich berühren, deshalb wird der Tango auch noch weiter wachsen.
Der Tango macht dich abhängig, sagt Carlos Libedinsky, er betäubt, er bringt Dein Leben durcheinander, Du tanzt die Nacht durch und kannst einfach nicht aufhören; dieser Tanz nimmt Dich als Geisel.
Wenn ich traurig bin, sagt der Bandoneonist Osvaldo Montes, dann spiele ich Tango, nicht weil er mich fröhlich macht, sondern weil er mich tröstet.
Den Tango, sagen die Alten, den Tango tanzt man für sich. Weil man ihn fühlt. Er tritt durch die Ohren ein, kommt im Herzen an und verlässt Dich durch die Poren.
Der Tango, das zeigt der Film sehr schön, ist eine Lebenshaltung, wie der Blues. Eine ewige Frage, die man immer wieder stellt ans Leben. Egal wie alt man ist.
©Maike Christen
Más Tango
Dokumentarfilm 2006
Deutschland / Argentinien
57 Min, HDV
Regie: Anja Hansmann (Kamera) Sebastian Schnabel (Schnitt)
Weitere Informationen und die DVD (22 Euro plus Versand) gibt es auf der Web-Seite: MásTango
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