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Portrait: Die Baumeisterin des Unheimlichen Die beiden Zeigefinger fallen nach unten. Das weiß gepolsterte Sofa klappt um und verwandelt sich in einen braunen Wohnzimmertisch. Die beiden Finger fahren wieder hoch, der Tisch klappt zurück und wird zum Sofa. Klippklapp, klippklapp, hin und her. Anna Viebrock steht vor ihrem pupenstubengroßen Bühnenbildmodell für „Arsen und Spitzenhäubchen“, aus dem sie das federleichte Balsaholz-Möbel herausgenommen hat. Und zeigt dem Pulk von Assistenten und Techniker, Beleuchtern und Praktikanten des Hamburger Schauspielhauses, wie der Sofa-Tisch funktioniert. Klippklapp, klippklapp. „Das Foto davon habe ich in einem englischen Kriegsmeublagen-Buch gefunden“, sagt sie, „ein Tisch, der zum Sofa wird – so ein Blödsinn.“ Sie lacht und verwandelt das Sofa noch einmal in einen Tisch. Die skurrilen Fundstücke der Anna Viebrock. Die gibt es zu Hauf in ihren Theaterräumen, für die sie 1997 in einer Kritikerumfrage schon zum dritten Mal als „Bühnenbildnerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Und mit dem Kortner-Preis. Und dem Hessischen Kulturpreis. Da musste Anna Viebrock dann eine Rede halten. Nicht gerade das, was sie am liebsten macht. Mit leichter Verzweiflung in der Stimme fragt sie: „Warum ist man denn Bühnenbildnerin? Doch eigentlich, um im Atelier zu sitzen und rumzubasteln!“ Oder um durch die Gegend zu streifen auf der Suche nach merkwürdigen Sachen. Versatzstücke einer Welt, die im Verschwinden ist und der die Bühnenbildnerin wie eine Detektivin nachspürt: auf Trödelmärkten, in altertümlichen Gaststätten und Abbruch-Häusern zwischen Hamburg und Zürich, Portugal und Polen. „Das ist so ein Bedürfnis Dinge zu bewahren“, sagt sie, „weil ich weiß, irgendwann ist das alles weg.“ Die alten Lautsprecher, die Sicherungskästen und der Fetzen Nachkriegslinoleum. Der liegt jetzt mit seinen Rauten in verblasstem Grün und Gelb auf dem Bühnenboden. „Allein wenn man die Farben von diesem Muster sieht, entsteht schon eine ganze Epoche“, sagt Anna Viebrock. Andere schmeißen so etwas auf den Müll. Sie hebt es auf, fotografiert, beschreibt oder zeichnet es für ihre Sammlung, die sie für jedes neue Bühnenbild durchstöbert. Manche dieser Objekte rettet sie noch ein zweites Mal vor dem Verschwinden. Wenn die Inszenierungen abgespielt sind und „die Bühnenbilder wieder zerhackt werden.“ Dann hebt Anna Viebrock ihre Lieblingsstücke auf. Wie das Blechwindrädchen aus der „Sturm-Inszenierung. Oder den weißen Riesenboiler aus Canettis „Hochzeit“. Auch wenn die 46-Jährige „privat nicht so einen Sammlerin ist“, ein paar dieser Relikte hat sie sogar in ihrer Wohnung im Hamburger Stadtteil St. Georg stehen. Seit knapp fünf Jahren ist dort ihr Zuhause. Seit Anna Viebrock Ausstattungsleiterin des Schauspielhauses um die Ecke ist, dessen Intendant Frank Baumbauer sie damals aus Basel mitgebracht hat. Was ihre Heimat ist? Schwierige Frage. In Köln geboren, in Frankfurt aufgewachsen, in Düsseldorf Bühnenbild studiert. Und ständig unterwegs: Für vier Projekte in Berlin, Stuttgart, Salzburg und Hamburg reist sie momentan kreuz und quer durch die Gegend. Aber der Kreis der Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, der bleibt. „Das hilft sehr“, sagt Anna Viebrock, „man werkelt einfach immer weiter.“ So wie mit dem Regisseur Christoph Marthaler, dessen „Kasimir und Karoline“ 1997 als beste Inszenierung des Jahres ausgezeichnet wurde – natürlich mit einem Bühnenbild von Anna Viebrock. Seit sieben Jahren arbeitet das Duo nun schon zusammen. Und wenn Marthaler im Jahr 2000 die Intendanz am Zürcher Schauspielhaus übernimmt wird sie ihn begleiten. In Hamburg bringen die beiden „Arsen und Spitzenhäubchen“ auf die Bühne. In Joseph Kesselrings rabenschwarzer Boulevard-Komödie von 1941 ermorden zwei betuliche Damen ältere Herren mit vergiftetem Holunderbeerwein. Trotz des festen Vorsatzes, „mal was Lustiges“ zu machen, wird auch diese Inszenierung nicht nur heiter. Schließlich sind die Gestalten darin fast alle wahnsinnig. „Das ist der Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges“, meint Anna Viebrock. Deshalb richtet sie die Bühne mit Elementen einer „unglaublich ekelhaften Klinik“ ein, mit denen sie eine Irrenanstalt andeutet. Ein unwirtlicher Alptraum-Ort wird das. Groß und unheimlich wie die anderen Theaterräume der Anna Viebrock. Anna Viebrock hat eine ausgesprochene Abneigung gegen alles Realistische. Wie etwa gegen Bäume oder anderes Grünzeug auf der Bühne. Denn „dort wirkt doch auch echtes Gras einfach falsch“. Auch Türen meidet sie strikt in ihren Theaterräumen – real führten die ja doch nur zur Hinterbühne raus. Das ist so ein Widerwille, den sie mit Marthaler teilt. Dafür ist der eigensinnige „Viebrocksche Fahrstuhl“ fast zur Dauereinrichtung in den Inszenierungen des Duos geworden. Meist kommt er laut rasselnd aus dem Nirgendwo und niemand weiß genau, ob er irgendwo hin fährt. Mit leicht wippendem Schritt steigt die Ausstatterin auf die Bühne. Zwei kobaltblaue Haarsträhnen legen sich ins Gesicht, unter der blassblauen Hochwasserhose lugen schwarz-weiß-orange gestreifte Schuhe hervor. Oben angelangt, verschwindet sie beinahe in dem Pulk von Menschen, die sie alle um einen halben Kopf überragen. Mit ausgestrecktem Arm zeigt sie auf der leeren Bühne auf noch unsichtbare Dinge. Den Fahrstuhl will sie bunt einrichten. Außerdem sollen überall Kabel hängen. „Alles, was elektrisch und gefährlich ist und haarsträubend! Dass es blitzt und kracht“, schwärmt sie, „und eigentlich müsste der Aufzug unten Sprungfedern haben, damit er immer rauf und runter saust“. Auch wenn die Theatertechniker das nun bestimmt nicht umsetzen können, am liebsten würden sie es. „Wir haben einen Heidenspaß an so komischen Apparaten“, sagt die Bühnenbildnerin freundlich. Und deshalb braucht sie sich um ihren Sofa-Tisch keine Sorgen zu machen. Denn der landet bestimmt nicht auf dem Müll, wenn „Arsen und Spitzenhäubchen“ irgendwann einmal abgespielt ist. „Der ist schon schwer begehrt“, sagt Anna Viebrock, „damit könnten wir in Serie gehen“. Erschienen in der Brigitte |